„Zuugfääähtabbbb“ am Hipstersquare

Es beginnt schon morgens im Bus: Du steigst ein, schwitzende Menschen mit dicken Jacken drängen sich im Durchgang, alle Plätze sind besetzt. Alle – bis auf den links neben der alten, tollkühn frisierten und undezent parfümierten Frau, die direkt am Gang Platz genommen und auf den Fensterplatz sorgfältig Tasche und Pelzmantel drapiert hat, um ihren Besitzanspruch auf beide Plätze zu legitimieren. Ich fühle mich gleich angesprochen und stelle mich demonstrativ vor die Gute, Ihren Blick in meinen Augen. Als nach gefühlten 5 Minuten noch kein Blickkontakt herzustellen ist, gehe ich zum Angriff über und frage höflich, ob der Platz neben ihr noch frei sei. Statt einer Antwort wird die Garderobe  – begleitet von einem tiefen Stoßseufzer – mürrisch auf den werten Schoß geräumt, und ich darf mich gnädigerweise, offenbar nur ausnahmsweise, setzen. Austeigen, umsteigen, U-Bahn. Gedränge am Schottenring, die U4 lässt auf sich warten und mit jeder Sekunde füllt sich der Bahnsteig mehr. Gerade in dem Moment, als der Bahnsteig vor Überbevölkerung zu implodieren scheint, schiebt sich die überfüllte U-Bahn donnernd heran und erlaubt nicht einmal einem Drittel der Reisewilligen den Zutritt. Ich schaffe es gerade noch vor dem hingerotzten „Zuugfääähtabbbb“ ins Wageninnere und spüre, wie die automatische Tür an meinem Mantel vorbeischrammt. Zwischen zwei Achseln klingelt plötzlich lautstark Mozarts Kleine Nachtmusik und ein Mann mit eleganter Hornbrille, dunkelblauem Kaschmirmantel und beigefarbenem Burburry-Schal schmettert ein lautstarkes „Servas, Franzi …. wos? I bin in der Bahn, I versteh di so schlecht … sog amal, hast mit dem Harald schon g’sprochen? Wegen dem Scouting … na du waßt scho …. jo, genau. Ich lass des imma alles abnicken, wenn wir ne höhere Marge hoben … ja eh … dann geh ich direkt zum Oliver und hol mir ne neue P.A. … Jo, klar … Letztens war ich erst beim Sales Director vom Konzern im Büro .. son richtig chices Loft mit super Ausblick. Hob i ihm gleich g’sagt. Sogt er: ‚Jetzt ist Herbst. Musste mal im Frühling kommen, wenn sich die Karnickel paaren – da hast an super Asublick!‘ hahaha, guat, oder? … sag amol, wer macht bei euch eigentlich die Business Integration?“ Bevor der Herr seine Achselnachbarn mit der ausstehenden Antwort beglücken kann, hält die U-Bahn und mindestens die Hälfte der genötigten Zuhörerschaft steigt aus. Ob der Mann das Gespräch zu Ende geführt hat – man weiß es nicht.

Jetzt aber erstmal los zur Besprechung. Granittreppe hochgerannt, Glastür aufgestoßen – da sitzen sie, die Wappler. Asymmetrische Neo-Eighties-Frisen, trendy Nerdbrillen, silberne Mac Books. Mir wird spontan übel und in Übersprungshandlung kippe ich mir ein stilles Wasser ins windschiefe Glas. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, die Bobos. Diese selbst(verliebt)ernannten Kreativen, die ihre Mitmenschen schon mit ihrer simplen Präsenz nerven. Diese Trotteln mit wissendem Kennerblick und legerer Ernsthaftigkeit. DAS ist nämlich ganz wichtig: ernst ist cool. Da fällt mir das Konzert vor zwei Wochen im Schaupielhaus ein. Geklonte Bobos, soweit das Auge reicht. Hornbrillendichte 88 %, Seitenscheitelquote 93 %. Uniforme Masse aus ImageIndividuen. Mitsingen? Nur innerlich. Tanzen? Geh bitte, das kommt nicht so lässig. Lachen? Fehlanzeige. Wir lachten und wurden mit bösen Blicken bestraft, bis uns dasselbe fast verging. Präpotente Unsympathen. Glauben, wer zu sein, weil sie jemanden nachäffen, von dem sie glauben, er sei wer. Persönlichkeit? Gekauft. Ein Ich? Logo, aber nicht nur eins. Ichs, soweit das Auge reicht. Allerdings nur Ich-du-er-sie-es-Ichs, alle austauschbar, situationselastisch quasi. Pronomen ohne Personal, dessen Sein nur in der Definition von Soll und Haben existiert. Mein iPhone. Mein Kindle. Mein Kind. Und damit die kleinen Paulas und Eliasse den latent teuren Geschmack der gutbürgerlichen Eltern auf die noch verschlossenen Augen gedrückt bekommen, werden sie im stylischen 70er-Jahre-Retrokinderwagen stilsicher durchs Hipsterquartier geschoben, wo sie dann im kinderfreundlichen Bio-Lokal zwischen blanker Mutterbrust und Soja-Chai-Latte so richtig schön antiautoritär auf die Kacke hauen können. Da wird geschrieen, gerannt, gerempelt und aufs neuseeländische BioSchafwollsackerl gekotzt was das Zeug hält, ganz ohne Rücksicht auf zwischenmenschliche Verluste derer, die ohne Kind mal in Ruhe ihren Kaffee genießen wollen. Sollen sie doch woanders hingehen! Wo wir sind, ist schließlich vorne! Urlässig einfach. Und so politisch korrekt. Alles bio natürlich, Klamotten vom Recycle-Designer um die Ecke, Naturkosmetik aus der homöopathischen Jugendstilapotheke im 6. – wer hat, der hat. Schade eigentlich, dass es ihr iPhone nicht bio gibt. Die 12-jährigen Kinder in der chinesischen iphoneFabrik hätten in ihrer un(ter)bezahlten 60-Stunden-7-Tage-Woche sicher auch was Besseres zu tun als giftige Metallstaubpartikel ohne Filter oder Gesichtsmasken zehn bis zwölf Stunden pro Tag einzuatmen. Darauf eine Kärntner Heu-Limo – hilft schließlich Kindern in Not.

© Lina

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